Flamencosatiren
Baile con Abanico
von Isabella Renitente
Sie sind Flamenca im dritten Semester und haben sich für einen Kurs in Fächertanz angemeldet. Sie hatten Merche Esmeralda mit ihren federleichten Bewegungen in Carlos Sauras Film "Flamenco" bewundert, wie sie - einem Schmetterling gleich - in einem wunderschönen cremefarbenen Rüschen-Spitzen-Kleid über die Tanzfläche flattert, schwebt, gleitet. Spielerisch. Mühelos. Ästhetisch.
So wollen Sie auch aussehen.
Verstohlen blicken Sie sich in der Runde um. Frau ist unter sich. Für alle Fälle halten Sie Ihren Fächer wie einen Knüppel fest in der Hand. Die Kursteilnehmerinnen sind unterschiedlich ausgerüstet. Vertreten sind Profiübungsfächer einseitig bespannt und ohne Dekor, Profiübungsfächer einseitig bespannt mit Goldrand und gesägtem Gerippe, doppelseitig bespannte Profifächer mit Goldrand und Profifächer mit Spitzeneinsatz, gesägtem Gerippe und goldener. Sie haben ein schlichtes Model mittlerer Preisklasse, mit dem Sie sich erst einmal im Hintergrund halten.
Man klopft gegenseitig die tänzerischen Lebensläufe ab. Nein, den Workshop bei Manolete in Berlin haben Sie nicht besucht. Und nein, die Tanzwoche in Andalusien haben Sie auch noch nicht absolviert. Da kam immer etwas dazwischen. Aber den Einführungslehrgang Sevillanas, den haben Sie belegt... Ja, von den Festivals in Basel, Düsseldorf und Hamburg haben Sie schon gehört. Auf dem Pfefferberg neulich waren Sie nicht (Was sollen Sie auf einem Berg Pfeffer?). Sie tanzen auch noch nicht direkt seit zehn Jahren, eher seit 12 ... Monaten. Eine der Kursteilnehmerinnen wirft sich in die Brust und trommelt plötzlich wie wild mit den Füßen (sie muss einen Joint zuviel geraucht oder einen Testosteronüberschuss haben).
Dann geht es los. Sie werfen sich in Pose. Das kennen Sie schon: dritte Position, Knie durchgedrückt, Gesäß fest, Magen an die Wirbelsäule, Brust um 20 cm heben und auf Doppel-D aufblasen, Kinn hoch, Hals 30 cm lang. Nehmen Sie den geschlossenen Fächer in die rechte Hand. Da jede Kursteilnehmerin einen eigenen Fächer besitzt, Ihr Fächer nicht von auffallender Schönheit und daher nicht diebstahlsgefährdet ist, halten Sie ihn nicht mehr wie einen Knüppel. Der Fächer liegt locker in der rechten Hand, der Daumen oben. Sie führen den rechten Arm in dramatischer Pose über hinten in die Höhe. Die Schulter bleibt unten. Die Hüfte steht frontal. Der Oberkörper ist um 45 Grad nach rechts verdreht. Die linke Schulter schaut nach vorn. Sie auch. Die Pose ist sehr schmerzhaft. Sie werden nach dem Kurs einen Termin mit Ihrem Orthopäden vereinbaren müssen.
Oben angekommen, verharren Sie kurz und genießen die Aufmerksamkeit der imaginären Zuschauer. Sie schauen stolz geradeaus. Sie untersuchen jetzt bitte nicht, ob Ihr Trikot unter den Achseln nass ist und/oder unfrisch riecht.
Sie knicken nun das rechte Handgelenk überraschend und ruckartig ein, als wollten Sie einen Gymnastikball auftippen oder ein rohes Ei an einem Schüsselrand aufschlagen. Sie halten den Fächer dabei nicht fest umklammert. Sie wollen schließlich nicht Ihre Nachbarin verprügeln. Sie geben vielmehr den Fingern so viel Spiel, dass sich durch den Schwung der Fächer öffnet. Gleichzeitig halten Sie den Fächer aber noch so fest, dass er nicht wie eine Schwalbe durch den Saal segelt. Anfangs klemmt er bei dieser Übung noch, weil die Bespannung neu und steif ist. Sie halten den Fächer daher sehr fest, allerdings nur an der oberen, äußeren Sprosse. Wie alle Anfänger hatten Sie sich vor den Fächerübungen die Hände sorgfältig eingecremt. Und wie alle Anfänger transpirieren Sie heftig. Sie wischen sich die Hände bitte nicht an Ihrem teuren, maßgeschneiderten Rock ab. Das wirkt unelegant. Sie geben Schwung und bleiben blasiert, wenn der Fächer Ihnen, anstatt sich mit einem melodischen Sirren zu öffnen, aus der glitschigen Hand gerissen wird. Achten Sie darauf, an dieser Stelle den Oberkörper leicht nach hinten zu beugen, damit der Fächer Ihnen nicht ins Gesicht geschleudert wird. Anfänger unter den Abanicas erkennt man an den Schrammen auf Stirn und Kinn. Mit den Jahren werden Sie auf Handcremes verzichten. Sie werden Eichenrindebäder gegen übermäßigen Handschweiß nehmen und lernen, den Fächer elegant zu öffnen, ohne ihn als Wurfgeschoss einzusetzen und sich oder andere zu verletzen. Sie werden den Fächer auch nicht mehr in den Zuschauerraum schleudern und arglose Gäste erschrecken.
Wenn Sie in der Lage sind, den Fächer ohne Blutvergießen zu öffnen, beginnen Sie mit dem Schließen. Sie stehen wieder in der dritten Position, die linke Schulter vor, der rechte Arm mit geöffnetem Fächer oben, blasierter Blick. Wenn es schmerzt, stehen Sie richtig. Sie klappen nun das Handgelenk überraschend und ruckartig nach oben, gewissermaßen gegen den Strich. Diese Bewegung widerspricht wie die meisten Flamencobewegungen der originären menschlichen Statik. Im dritten Semester haben Sie jedoch Ihre Gesichtszüge weitgehend unter Kontrolle. Sie verkneifen sich auch einen Schmerzensschrei. Es wird ein paar Wochen dauern, bis die Handgelenkklappe funktioniert und sich der Fächer schließt. In dieser Zeit helfen Sie bitte nicht verstohlen mit den Fingern nach. Sie schieben ja beim Essen auch nicht die Erbsen mit dem Daumen auf die Gabel, oder?
Irgendwann können Sie den Fächer öffnen und schließen. Mit der Zeit öffnet und schließt sich der Fächer dann auch, wenn Sie es wollen. Sie beginnen daher nun, mit dem Fächer zu wedeln. Der Kurs findet im Januar statt. Es ist klirrendkalt. Ihre Finger sind klamm. Es schneit in dicken Flocken. Sie stellen sich vor, Sie säßen in Sevilla am Ufer des Guadalquivir. Es ist schwül. 35 Grad im Schatten. Ihre Füße sind geschwollen. Ihr Makeup läuft in kleinen Rinnsalen über Ihr Gesicht. Ihre Zunge klebt trocken und pelzig am Gaumen. Sie haben Ihre Haare notdürftig hochgesteckt. Im Nacken kräuseln sich kleine, feuchte Löckchen. Sie zücken Ihren Mittelklassefächer, halten ihn vor Ihre überhitzten Büste und fächeln. Sie stehen am Fenster, schauen in das Schneetreiben draußen und genießen den erfrischenden Luftzug. Sie schlagen sich dabei bitte nicht mit dem Fächer heftig auf die Brust. Übertreibungen sind bei diesem eher zarten Ausdruckstanz nicht angebracht.
Wenn Sie schön fließend fächeln können, beginnen Sie mit den Handkreisen. Sie stehen wieder in Pose, das kennen Sie ja inzwischen. Den Schmerz tragen Sie mit Würde. Sie nehmen mit der linken Hand und spitzen Fingern den Rock kurz über dem Saum auf und stemmen die Hand in die Hüfte. Sie halten die Hand dabei grazil und locker. Es ist unschön, wenn Sie den Rocksaum bei dieser Übung zerknüllen.
Dann heben Sie den Fächerarm auf Brusthöhe. Stellen Sie sich vor, Sie wollten Ihren sehr übergewichtigen, aber vermögenden Erbonkel umarmen. Erdrosseln Sie ihn nicht, aber lassen Sie ihn auch nicht entkommen. Achten Sie darauf, dass der Ellenbogen nicht nach unten sackt. Er bleibt schön nach außen gedreht auf gleicher Höhe wie das Handgelenk. Die rechte Schulter ziehen Sie bitte nicht an das Ohr. Denken Sie daran, dass Sie mit Ihren neuen Ohrgehänge protzen wollen. Wenn sich der Eindruck verstärkt, an Ihrem Arm hingen Bleigewichte, stellen Sie sich vor, zu Ihren Füßen kniete ein wohlgestalteter, glutäugiger, sehr stolzer Gitano mit schmalen Hüften, flachem Bauch und wilden Locken. Sie legen sanft Ihre rechte Hand auf sein Haupt. Ihr Arm wird leicht. Würdevoll schauen Sie in die Ferne.
Bitten Sie nun Ihren schönen Gitano, sich unaufdringlich zu entfernen, damit Sie ihn nicht beschädigen, und beginnen Sie mit den nächsten Übungen. Stellen Sie sich vor, Ihr rechter Arm sei von der Schulter bis kurz vor das Handgelenk eingegipst. Er ist völlig unbeweglich. Sie haben ein langes, sehr scharfes Messer in der Hand. Mit diesem Messer kratzen Sie eine zähe, aber äußerst wohlschmeckende Masse (mousse-au-chocolat) aus einem auf der Seite liegenden Topf. Sorgfältig schaben Sie mit dem Messer die Topfwände entlang. Achten Sie bitte darauf, mit der Klinge weder Ihren Arm noch Ihren Oberkörper zu berühren, damit Ihre Kleidung nicht Schaden nimmt oder bekleckert wird. Bewegen Sie sich nun rhythmisch im Raum und kreisen Sie mit der Fächerhand. Führen Sie die Hand vor Ihren Torso. Führen Sie sie nicht an die linke Achselhöhle, egal wie sehr Sie transpirieren. Heben Sie nun den Fächerarm schwungvoll über hinten nach oben. Achten Sie auf eine stolze Haltung. Unschön ist es, anderen Kursteilnehmerinnen bei dieser Übung den Fächer ins Gesicht zu schlagen. Es wird auch allgemein als unkollegial betrachtet, mit dem Fächer fremde Frisuren oder Haarschmuck zu ruinieren. Hauen Sie also bitte niemandem den Fächer auf den Kopf. Auch dann nicht, wenn Ihre Nachbarin mit Ihrem Liebhaber ausgeht. Relativ verbreitet ist hingegen die Sitte, im Vorbeigehen oder bei einer Drehung einer Nebenbuhlerin kurz auf den Fächer zu titschen. Das tun Sie aber bitte möglichst unauffällig und nur dann, wenn Sie sicher sind, dass Sie nicht beobachtet werden und Ihr Mittelklassefächer die Begegnung gut übersteht.
Ihre erste Kursstunde werden Sie mit den handelsüblichen Blessuren beenden. Natürlich haben Sie sich den Fächer beim Öffnen zunächst ins Gesicht geschleudert. Sie haben sich auch die Finger ein bisschen gequetscht. Und natürlich hat erst einmal jede bei den Drehungen und Passadas auf ihre vermeintliche Nebenbuhlerin eingeprügelt. Ihre Stirn trägt einen roten Querstreifen. Ihre Frisur ist ruiniert. Ihre Stoffrose hängt in Fetzen. Ihr Fächer ist an den Rändern ausgefranst und beginnt, sich aus dem Scharnier zu lösen.
Sie tragen Ihre Blessuren mit Stolz und Würde. Sie haben Sie sich ehrlich erarbeitet und außerdem eine Menge Geld dafür bezahlt. Sie werden Ihrem Liebhaber später vorführen, welche wunderschönen, geschmeidigen, eleganten, stolzen, rassigen Bewegungen Sie gelernt haben. Sollte er ein zweites Mal mit Ihrer Nachbarin ausgehen, werden Sie ihm auch die Quebrada und die Passada nahebringen, und zwar in der unzensierten Fassung.
¡anda! 78, Juni/Juli 2008
"Mehr oder weniger durch Zufall habe ich vor kurzem im Flugzeug die Zeitschrift ANDA gelesen. Obwohl ich erst Flamenco-Anfängerin bin, hat mich Ihre Satire über die Vuelta Flamenca so zum Lachen gebracht, daß ich darüber versehentlich völlig vergessen habe, daß ich eigentlich Flugangst habe...“
Claudia Graf, 29.05.2009